Kleines Knabenkraut Anacamptis morio Orchideen in der Rhön und Mainfranken

Formen- und variantenreich, hell und dunkel, farbenfroh und gesellig versammelt: so präsentiert sich ein lustiges Völkchen Kleiner Knabenkräuter auf der Frühlingswiese. Das Pflänzchen ist ein Verwandlungskünstler, ein Clown – der Name morio führt hin zum griechischen moros, Narr.

Der ordnende Mensch nennt die rosa blühenden Exemplare var. rosea und die weißen var. alba. Doch in einer bunten morio-Wiese mit allerlei Farbübergängen wird die Ordnungswut schnell als die wahre Narretei entlarvt.

Das Kleine Knabenkraut

Die hodenähnlichen Wurzelknollen galten laut der mittelalterlichen Signaturlehre als Aphrodisiakum. Insbesondere die Knollen des ehemals häufigen Kleinen Knabenkrautes, nach der arabischen Bezeichnung »Sahlab« (= Fuchshoden) auch Salep-Knabenkraut genannt, wurde zu diesem Zweck massenhaft ausgegraben und von Kräuterweibern oder Apothekern angeboten.

Einst muss das Kleine Knabenkraut auch in der Rhön so häufig gewesen sein, dass viele Botaniker gar keine einzelnen Standorte notierten. Auch zu Goldschmidts Zeiten war das Kleine Knabenkraut noch ein gewöhnlicher Anblick; extensive Wiesen und Weiden boten ihm überall in der Rhön geeignete Lebensräume. Doch die Intensivierung der Landwirtschaft brachte Drainage, Düngung, Eu­trophierung, Monokultur und den Einsatz von Pestiziden mit sich. Dadurch nahmen die Vorkommen seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rapide ab. Diese Bestandsrückgänge halten weiterhin an, da die verbliebenen Vorkommen nunmehr durch vollständige Nutzungsaufgabe und die damit verbundene Verbrachung und Gehölzsukzession bedroht sind. Da die Literaturangaben meist über allgemeine Aussagen nicht hinausgehen, lassen sich die eklatanten Rückgänge kaum in Zahlen wiedergeben. Es kommt leider auch heute noch vor, dass die Lebensräume der konkurrenzschwachen Orchidee trotz Kenntnis und in voller Absicht vernichtet werden.


Kleines Knabenkraut bei Poppenhausen, Rhön, 25.04.2010

Inzwischen ist das Kleine Knabenkraut in der nördlichen Rhön fast ganz ausgestorben. Die meisten rezenten Vorkommen liegen im zentralen und südwestlichen Gebiet: in den Hangwiesen am Rande der Hohen Rhön, im Bergwinkel und in den Flusstälern der Südrhön. Nach der Extensivierung von Wirtschaftswiesen kann das Kleine Knabenkraut auch in der heutigen Zeit rasch neue Standorte besiedeln, besonders in der Umgebung größerer Populationen. Dies soll aber keineswegs darüber hinweg täuschen, dass die Bestand­sentwicklung weiterhin stark rückläufig ist. Im gegenwärtigen Landschaftsbild der Rhön sind bunte morio-Wiesen sehr selten geworden. Können wir nicht wenigstens die übrig gebliebenen an unsere Kinder weitergeben?

Nomenklatur

Wissenschaftlicher Name:
Anacamptis morio (L.) R.M.Bateman, Pridgeon & M.W.Chase 1997

Gebräuchliche Synonyme:
Orchis morio L. 1753
Herorchis morio (L.) D.Tyteca & E.Klein 2008

Deutsche Namen:
Kleines Knabenkraut, Salep-Knabenkraut, Narrenkäppchen

Kurzbeschreibung

Kräftige Pflanze, Wuchshöhe 10-35 cm. Runde Knolle, jährlich eine Tochterknolle bildend, zur Blütezeit daher mit zwei Knollen. 5 bis 9 schmal-lanzettliche, bis zu 15 cm lange Grundblätter. 3 bis 4 scheidige Stängelblätter. Blütenähre dicht, mit 5 bis 25 Blüten. Blütengröße 12-15 mm. Blüten purpurviolett, farblich sehr variabel, von dunkelrot bis hin zu rosa und weiß. Sepalen und Petalen als aufgelockertes Helmchen mit typischer grüner Aderung. Lippe deutlich breiter als lang. Seitenlappen etwa so lang wie der Mittellappen, aber viel breiter und zurückgeschlagen. Lippenmitte weißlich, mit dunklen Saftmalen besetzt. Sporn aufwärts gerichtet, nektarlos. Bestäubung durch Bienen, insbesondere Hummeln.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Mitte April bis Mitte Mai, vorwitzige Pflänzchen auch eher.

Vorkommen und Standort

In der Rhön selten geworden, gebietsweise bereits verschwunden.
Standorte: Mäßig trockene bis mäßig feuchte Wiesen. Auf basischen bis schwach sauren Böden. Selten auch auf Kalk-Halbtrockenrasen..
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 180 m bis 850 m.
Gesamtverbreitung: Fast ganz Europa, nördlich bis Südskandinavien, südlich bis zur nordafrikanischen Küste.

Mehr zu dieser Art

» flickr.com | Anacamptis morio – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Kleines Knabenkraut
» AHO-Bayern e.V. | Orchis morio

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