Orchideenforschung Orchideen in der Rhön und Mainfranken

Die Orchideen sind eine faszinierende Pflanzenfamilie. So ist es kein Wunder, dass sie bereits in der Literatur des Altertums erwähnt wurden. Doch erst zur Zeit der Renaissance begannen die systematischen Naturforschungen, und in den Kräuterbüchern jener Epoche finden sich prachtvolle Abbildungen wild wachsender Orchideen. Die ältesten Nachweise über die Orchideen der Rhön sind bescheidener; sie finden sich in Regionalfloren des 18. bis 19. Jahrhunderts.

Bis heute haben sich zahlreiche Fachleute und Laien mit den Orchideen der Rhön befasst. Immer wichtiger wurde dabei das Anliegen, dieses Erbe zu erhalten, zu schützen und zu pflegen. Und dies ist nicht nur Aufgabe des behördlichen Naturschutzes, sondern aller Naturfreunde in der Rhön. Jahrhundertelang wurden die Kenntnisse über die heimische Flora von Generation zu Generation weitergegeben, ohne dass wissen­schaftlich daran geforscht wurde. Der Umgang mit Tieren und Pflanzen war damals für viele Menschen alltäglicher und elementarer Bestandteil des Lebens. Viele heimische Wildkräuter, auch Orchideen, wurden als Arznei, Gewürz, Heilmittel oder auch Droge verwendet. Die Knollen der Knabenkräuter wurden als »Tubera Salep« in den Apotheken angeboten, und auch als Aphrodisiakum waren sie im Gebrauch, genau wie die Wurzeln und Knollen anderer Arten, deren Namen Ragwurz und Stendelwurz durchaus anzüglich gemeint sind. Das Manns-Knabenkraut heißt in der hessischen Rhön einfach »Kuckucksblume«, was auf eine große regionale Signifikanz und auf eine besondere Wahrnehmung der Pflanze im Jahreskreis hindeutet.

Das erste Dokument, das gezielt auf eine Erfassung der Rhönflora hinarbeitet, ist F.K. Liebleins »Flora Fuldensis« aus dem Jahr 1784. Nur zehn Orchideenarten sind darin genannt, doch finden sich eini­ge außerordentlich wertvolle Angaben darin, beispielsweise über das lange ausgestorbene Wanzen-Knabenkraut. Naturschützerische Gedanken spielten zur damaligen Zeit noch keine Rolle. Vielmehr diagnostizierte Lieblein Nutzen und Verwendung der Pflanzen. Zur Wirkung des Helm-Knabenkrautes bemerkte er: »Die Wurzeln von diesem Knabenkraut sind wegen ihres feinen schleimichten Wesens überaus lindernd und nahrhaft: ausser diesem nahrhaften Bestandtheile befindet sich noch ein höchstflüchtiges Wesen darinn, welches unsere feinste Säfte in Bewegung setzet und ausdehnet…«

Im 19. Jahrhunderts wurden dann weitere Werke veröffentlicht, in denen die Orchideen der Rhön Erwähnung finden, beispielsweise die »Flora Wirceburgensis« (1810-11, Supplementum 1815) von F.X. Heller, die »Exkursionsflora von Unterfranken« (1882) von M. Bottler, die »Flora von Hessen und Nassau« (1891) von A. Wigand und F. Meigen sowie der Vorläufer von »Schneiders Rhönführer«, die »Naturhistorische Beschreibung des diesseitigen hohen Rhöngebirges und seiner nordwestlichen Vorberge« (1816) von J. Schneider. 1825 verfasste F.J. Pickel eine Arbeit über die Orchideen des Hochstiftes Fulda: »Fuldae genera et species plantarum Orchi­dearum«. Von A. Schenk, der 1860 seine »Beiträge zur Flora von Unterfranken« veröffentlichte, stammen einige Erstnachweise Rhöner Orchideen, vor allem der montanen Arten Holunder-Knabenkraut, Grüne Hohlzunge und Weißzüngel.

Über 100 Jahre nach Lieblein durchstreiften zwei große einheimische Botaniker die Rhön: Der Apotheker A. Geheeb (1842-1909) aus Geisa sowie sein Schüler M. Goldschmidt (1863-1916), der 1885 Lehrer an der israelitischen Schule in Geisa und Geheebs Schüler wurde. Sehr schnell eignete er sich so hervorragende Kenntnisse an, dass eine Gesamtflora für die Rhön Konturen annahm. Leider hinderte ihn eine schwere Erkrankung, die unter anderem zur Erblindung führte, an der Fertigstellung. Goldschmidt wiederum teilte sein Wissen mit O. Arnold aus dem nahen Unterweid, der ein äußerst wertvolles, umfangreiches Herbar der Rhönflora anlegte, das auch zahlreiche Orchideenfunde beinhaltet. Ende des 19. Jahrhunderts wirkte H. Rottenbach in der Meininger Gegend. Auf ihn gehen viele wichtige Orchideenfunde zurück, beispielsweise der Erstnachweis des Sumpf-Weichblattes.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert wurde, vor allem bedingt durch die Weltkriege, relativ wenig zur weiteren Kenntnis der Rhöner Orchideenflora beigetragen. Jedoch wirkte zu dieser Zeit bereits der bedeutende fränkische Botaniker A. Ade in der Rhön. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Beiträge zur Flora der Rhön geliefert. Für die Kenntnis der heimischen Orchideen besonders bedeutsam sind die Veröffentlichungen und Kartierungen von H. Schubert, A. Seibig, W. Tripp und W. Mahr.

Die gründlichen Dokumentationen heimischer Orchideengattungen des Meininger Amateurbotanikers F. Füller erreichten besondere Aufmerksamkeit, auch über die Grenzen der DDR hinaus. Seine Schriften, in denen auch zahlreiche Angaben über Rhöner Orchideen zu finden sind, sind heute begehrte Sammlerstücke. In 1970 erschien mit A. Grossmanns »Die Orchideen der Rhön und angrenzender Gebiete« das erste umfassende Werk zu diesem Thema, allerdings war ihm die thüringische Rhön damals nicht zugänglich. Diese Lücke wurde 1977 durch einen Beitrag L. Meinungers zur Orchideenflora der thüringischen Rhön sowie durch H. Kümpels Büchlein »Orchideen der thüringischen Rhön« von 1978 geschlossen.

In diese Zeit fällt auch die Gründung der AHOs (Arbeitskreise Heimische Orchideen), die später Verbreitungsübersichten auf Länderebenen erstellten: Bayern in 1992, 2006 und 2014, Hessen in 1982 und Thüringen in 1997 und 2014.

H. Kümpel, der verdienstvolle Orchideenforscher aus der thüringischen Rhön, bearbeitete 1996 sein Lieblingsthema »Die wildwachsenden Orchideen der Rhön« noch einmal neu. Da ein wesentlicher Teil der Vorarbeiten bereits vor der Wende auf thüringischer Seite stattfanden, führte die unerwartete Grenzöffnung zu einem Ost-West-Gefälle in der Bearbeitungstiefe. Kümpel, der 1998 viel zu früh verstarb, hat in der Rhön auch intensiv wissenschaftlich geforscht und nicht nur einige Orchideenhybriden und -varietäten auf Basis von Funden aus seiner Heimat beschrieben, sondern auch eine Art: die Übersehene Stendelwurz Epipactis neglecta. Posthum wurde 2001 in den Berichten aus den Arbeitskreisen Heimische Orchideen sein Artikel über die Orchideen-Hybriden Ostdeutschlands veröffentlicht; ein bedeutender Teil seiner Feldfor­schungen fand in der Rhön statt.

Orchideenforscher unserer Tage sind in besonderer Weise auch mit dem Schutz der heimischen Natur befasst. Denn für den langfristigen Erhalt der Arten und Habitate genügt es nicht allein, Pflanzen zu bestimmen und zu dokumentieren, sondern es gilt auch, ihre Ansprüche und Lebensbedingungen zu verstehen. Denn nur mit fundierten Kenntnissen können geeignete Maßnahmen zum Arten- und Biotopschutz ergriffen werden.

Neben den AHOs sind in der Rhön weitere ehrenamtliche Arbeitskreise in der botanischen Feldforschung und Kartierung tätig. Im Landkreis Bad Kissingen ist dies der Bund Naturschutz, der unter der Leitung von W. Hartmann einen vorbildlichen Verbreitungsatlas herausgegeben hat.

Länderübergreifend, jedoch mit Schwerpunkt im hessischen Teil der Rhön, arbeitet das Netzwerk Rhönbotanik, eine Gruppe unter der Leitung des Rhönbotanikers U.M. Barth. Auf diese Art und Weise vervollständigt sich mehr und mehr das Wissen über die Orchideen der Rhön. Doch die Erforschung wird nie abgeschlossen sein, und die Orchideen der Rhön sind immer wieder für Überraschungen gut.

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