Rotes Waldvögelein Cephalanthera rubra Orchideen in der Rhön und Mainfranken

Unter mächtigen Hutebuchen, im lichten Kiefernwald und auf grasreichen Lichtungen im Buchenwald entfalten sich im Juni die herrlichen leuchtend-rotvioletten Blüten des Roten Waldvögeleins. Die prächtige und auffällige Pflanze braucht Platz, um ihre Aura zu entfalten, sie ist nicht sehr gesellig.

Meist tritt sie nur in kleineren Schwärmen auf. Doch gelegentlich versammelt sie sich auch zu hunderten auf engem Raum: ein unvergleichlicher Anblick. In ihrem Bestand bedroht ist sie vor allem durch Veränderungen ihres Lebensraumes, beispielsweise durch zu intensive Waldnutzung oder aber durch ausbleibende Nutzung, die in den Wäldern zu dichtem Kronenschluss und auf Hutungen zu verstärktem Gehölzaufwuchs führt. Rehe fressen gern die Triebe der Pflanze, sie wird jedoch auch von Spaziergängern, die fahrigen Blickes durch die Rhön streifen, nicht übersehen – und so besiegelt sich ihr Schicksal leider allzu oft in der Blumenvase oder gar im Hausgarten (wo sie freilich ohne ihren Mykorrhiza-Partner nicht lange überlebt).

Das Rote Waldvögelein

Der Name Waldvögelein bezeichnet aus romantisch verklärter Sicht das Aussehen der Blüte, das an einen abfliegenden Vogel erinnert. In früheren Zeiten wurde sie auch als Rote Zimbelblume oder Waldlilie bezeichnet.

Die Blüten des Roten Waldvögeleins sind nektarlos. Die Orchidee imitiert jedoch eine nektarreiche Pflanze, nämlich die Pfirsichblättrige Glockenblume Campanula persicifolia, mit der sie oftmals auch den Standort teilt. Die gelben Leisten auf der Lippe suggerieren auch das Vorhandensein von Pollen. Weibchen von Solitärbienen aus der Gattung Chelostoma suchen Pollen fast ausschließlich auf Glockenblumenblüten. Für das menschliche Auge unterscheiden sich die Blütenfarben des Waldvögeleins und der Glockenblumen deutlich. Doch Spektralanalysen zeigen, dass die für die Biene sichtbaren Farbtöne der Blüten nahezu identisch sind.


Rotes Waldvögelein bei Ostheim / Rhön, 18.06.2006

Nun blüht aber das Rote Waldvögelein zuverlässig etwa zwei Wochen früher als die Glockenblume und somit auch vor der Ak­tivität der Bienenweibchen. Die bereits suchenden Bienenmännchen wähnen die Objekte ihrer Begierde nun auf Pollensuche in den vermeintlichen Glockenblumenblüten und krabbeln in die Blüten hinein. Beim Befreien aus dem engen Blütenkanal drehen sich die Männchen und versuchen, sich mit dem Hinterleib abzustoßen. Durch die Berührung mit der Rostelldrüse schießt ein Tröpfchen Leim hervor und klebt die Pollinien am Hinterleib des Insekts fest. Gelegent­lich werden die Blüten des Roten Waldvögeleins von den Insekten auch als Schlafstätte genutzt.

In der Rhön ist diese Art in den Kalkgebieten fast lückenlos verbreitet, aber deutlich seltener als das Bleiche Waldvögelein, mit dem sie fast immer die Wuchsorte teilt. Zwar kommt das Rote Waldvögelein verbreitet in den naturnahen Kalk-Buchenwäldern vor, sein ökologisches Optimum findet es aber an halbschattigen Standorten, beispielsweise anstelle ehemaliger Hutungen. Über Buntsandstein siedelt sich diese Art gelegentlich an geschotterten Straßen- und Wegrändern an. Auch vom Roten Waldvögelein wurden in der Rhön schon weiß blühende Pflanzen gefunden (var. alba).

Nomenklatur

Wissenschaftlicher Name:
Cephalanthera rubra (L.) Rich. 1817

Deutsche Namen:
Rotes Waldvögelein


Blüte des Roten Waldvögeleins, Ostheim / Rhön, 18.06.2006

Kurzbeschreibung

Pflanze grazil gewachsen, Stängel oft etwas hin und her gebogen. Wuchshöhe 20-70 cm. Rhizom horizontal kriechend, kurz, verzweigt und bewurzelt. 3 bis 7 Laubblätter, am Stängel verteilt, schräg nach oben gerichtet, leicht rötlich überlaufen, schmal und lang lanzettlich zugespitzt. Blütenstand locker, 1- bis 25-blütig. Tragblätter aufwärts kleiner werdend. Blütengröße 25-mm. Blüten gewöhnlich weit offen. Seitliche Sepalen weit abgespreizt, mittleres Sepal und Petalen über der Lippe stehend, Spitzen aufgebogen. Lippe zweiteilig; Hypochil kurz mit aufrecht stehenden Seitenlappen, Epichil lanzettlich mit bräunlich-gelben Längsleisten. Bestäubung durch Bienen.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Ende Mai bis Anfang Juli.

Vorkommen und Standort

In der Rhön zerstreut bis verbreitet in den Kalkgebieten anzutreffen.
Standorte: Lichte Laub- und Nadelwälder, Säume, unter Solitärbäumen. Vorzugsweise halbschattig wachsend, kalkstet.
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 200 m bis 800 m.
Gesamtverbreitung: Mittel- und Südeuropa, Nordafrika, ostwärts bis zum Ural.


Rotes Waldvögelein im Nüsttal, 21.06.2009

Hybriden

In der Rhön sind Hybriden dieser Art noch nicht bekannt geworden.

Mehr zu dieser Art

» flickr.com | Cephalanthera rubra – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Rotes Waldvöglein
» AHO-Bayern e.V. | Cephalanthera rubra

» zur Startseite ‚Orchideen der Rhön‘
» zum Inhaltsverzeichnis
» zurück zum Beginn dieser Seite