Die Korallenwurz ist, freilich rein subjektiv gesehen, eine der faszinierendsten heimischen Orchideen. Denn dieses an sich unscheinbare Gewächs umgibt sich mit allerlei Geheimnissen. So ist beispielsweise ihr Populationsverhalten schwer nachvollziehbar: mal tritt sie in guten Beständen auf, dann wieder bleibt sie am gleichen Standort scheinbar ohne Grund ganz aus.
Man könnte sie auch als die »Diva« unter den Waldorchideen bezeichnen. Sie gehört darüber hinaus zu den signifikantesten Orchideenarten der Rhön: in Deutschland ist sie insgesamt selten und vor allem in den Alpen, im Jura, in Thüringen und in der Rhön verbreitet. Außerhalb dieser Gebiete ist sie sehr selten, über weite Strecken fehlt sie ganz. Innerhalb Deutschlands bilden die Rhöner Vorkommen der Korallenwurz also einen wichtigen Verbreitungsschwerpunkt. In montanen Lagen wächst sie eher in schattig-feuchten Nadelwäldern, in den tiefen und mittleren Berglagen bevorzugt sie jedoch südexponierte Buchenwälder. Hier blüht sie auch viel früher als im Gebirge.
Die Korallenwurz
Sie kommt bei uns vor allem in der nördlichen und östlichen Vorderrhön von Hünfeld bis Meiningen vor, selten am bayerischen Rand der Hochrhön und auf der Hochrhön , außerdem isoliert an der Fränkischen Saale und im Bergwinkel. Einige ältere Vorkommen, vor allem in der hessischen Rhön, konnten in jüngerer Zeit nicht bestätigt werden. Im Nüsttal wurde auch schon die weiß blühende Form gefunden. Die Korallenwurz lebt bei uns vorwiegend in wechselfeuchten, vegetationsarmen Buchenwäldern auf Kalk, oftmals südseitig und nahe der Schichtgrenze vom Muschelkalk zum Buntsandstein, an der periodisch Staunässe auftritt. Hier teilt sie ihren Wuchsort mit der Nestwurz, den Waldvögelein-Arten, der Grünlichen Waldhyazinthe und sogar dem Purpur-Knabenkraut. Trotz ihrer relativen Seltenheit ist sie derzeit nur bedingt bedroht, denn der Zustand ihrer Lebensräume war in den letzten Jahren stabil. Dabei ist das Gefährdungspotential dieser Art keineswegs zu unterschätzen, denn durch unsachgemäße Waldbewirtschaftung, aber auch durch Umwelt- und Klimaeinflüsse könnte sich die Bestandssituation rasch verschlechtern.
Frühlingshafter Kalk-Buchenwald mit Korallenwurz auf einem Bergsporn im Nüsttal, Rhön, 05.05.2005
Die Pflanze ist grünlich und enthält mehr Chlorophyll als Nestwurz und Widerbart. Sie gilt als mykoheterotroph und bezieht etwa die Hälfte ihres Stickstoff- und drei Viertel ihres Kohlenstoffbedarfs aus der Symbiose mit einem Mykorrhiza-Pilz, auf den sie zeitlebens angewiesen ist. Diese Verbindung macht die Korallenwurz sehr abhängig, aber sie erlaubt ihr auch den Luxus, auf grüne Blätter zu verzichten. So findet sie ihren Platz nahezu konkurrenzlos an vegetationsarmen, schattigen Stellen im Buchenwald. Die kleinen Blüten werden eher selten von Insekten besucht. Bleibt der Blütenbesuch aus, kann sich die Korallenwurz als fakultativ autogame Art auch selbst bestäuben, indem die Pollinien bei fortgeschrittener Blütezeit auf die darunter liegende Narbe fallen. Daher ist der Fruchtansatz sehr hoch. Im Gegensatz zu den unscheinbaren Blüten sind die Samenkapseln bei dieser Art auffällig groß.
In den mittleren Lagen der Rhön blüht die Korallenwurz bereits im zeitigen Frühling, wenn die Buchen ihr frischgrünes Laub austreiben und wenn der Kuckuck ruft. Zu dieser Zeit ist der Waldboden vom Flaum der Spelzen überzogen, die von den Blattknospen der Buchen herabgefallen sind. Wer sich also zu dieser Zeit an den waldreichen Kalkhügeln der Rhön auf die Suche nach der Korallenwurz begibt, der darf sich berechtigte Hoffnung auf einen Fund machen – auch an Stellen, an denen sie vielleicht nie zuvor gefunden wurde. Gerade weil der Erfolg der Suche durchaus nicht selbstverständlich ist, gehört die Begegnung mit der blühenden Korallenwurz zu den besonderen Erlebnissen im Orchideenjahr.
Nomenklatur
Wissenschaftlicher Name:
Corallorhiza trifida
Deutscher Name:
Korallenwurz, Europäische Korallenwurz
Blüten der Korallenwurz; Nüsttal, Rhön, 11.05.2008
Kurzbeschreibung
Unscheinbare, zierliche, gelblich-grüne Pflanze, ohne Laubblätter, wenige Schuppenblätter am Stängel. Wuchshöhe 5-20 cm. Charakteristisches uund namensgebendes Rhizom, korallenförmig verzweigt, unbewurzelt. Blütenstand mit 2 bis 12 weit abstehenden, sehr kleinen Blüten. Tragblätter dreieckig, sehr kurz. Blütengröße 4-6 mm. Sepalen und Petalen länglich-zugespitzt, nach vorn gerichtet, Lippe zungenförmig, weißlich, meist rot gepunktet, mit zahnartigen Seitenlappen. Spornähnliche Ausbuchtung am Lippengrund. Überwiegend autogam, selten Bestäubung durch Fliegen, Käfer, Schlupfwespen.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: (Ende April-) Anfang – Mitte Mai, in höheren Lagen Juni.
Vorkommen und Standort
In der Rhön vor allem in mittleren Berglagen, häufiger nur in der thüringischen Rhön.
Standorte: Nadelwälder, feuchte Laubwälder. In der Rhön vor allem in Buchen- und Laubmischwäldern, meist an humosen, pflanzenarmen Stellen. Auf mäßig trockenen bis humiden Böden, vor allem auf Kalk. Sehr selten auch in Moorwäldern der Hochlagen.
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 200 m bis 850 m.
Gesamtverbreitung: Boreal zirkumpolar, südwärts in die Gebirge ausstrahlend.
Mehr zu dieser Art
» flickr.com | Corallorhiza trifida – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Korallenwurz
» AHO-Bayern e.V. | Corallorhiza trifida
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