Durch die sommerlich-heißen Kiefernwälder an den Steilhängen der Muschelkalkberge zieht ein zarter Vanilleduft. Er entströmt den kleinen weinroten Blüten der Braunroten Stendelwurz. Diese schöne und auffällige Orchidee ist auf wärmebegünstigten Hängen über Muschelkalk nicht selten, dabei bevorzugt sie lockere, lichtdurchlässige Baumbestände und vegetationsarme Stellen auf trockenem Untergrund. Mitunter wurzelt sie auch im blanken Felsgeröll.
Unter diesen Umständen ist sie gelegentlich auch als Pionierpflanze in aufgelassenen Steinbrüchen oder an Wegböschungen anzutreffen. An den Meeresküsten wächst sie sogar in Sanddünen, was ihr in Norddeutschland den Namen »Strandvanille« eingebracht hat.
Die Braunrote Stendelwurz
Im Gegensatz zu den anderen Epipactis-Arten (mit Ausnahme der Sumpf-Stendelwurz) ist die Braunrote Stendelwurz sehr lichthungrig und wächst nicht nur an halbschattigen Standorten, sondern auch auf vollsonnigen Halbtrockenrasen. Hier kommt sie gemeinsam mit anderen Orchideen wie Helm-Knabenkraut, Mücken-Händelwurz oder den Ragwurz-Arten vor.
Bereits im Austriebsstadium Anfang Mai ist die Art an ihren dunkelviolettbraunen Blattunterseiten und der zweizeiligen Blattanordnung gut zu erkennen. Rasch streckt sich die Pflanze, und der zunächst überhängende Blütenstand mit den Knospen richtet sich auf. Die Blüten stehen mehr oder weniger einseitswendig, und zwar hangabwärts, wie die der anderen Stendelwurz-Arten auch.
Waldrand mit Braunroter Stendelwurz in heller und normal gefärbter Form, dazu Fliegen-Ragwurz und Mücken-Händelwurz; Bergwinkel / südwestliche Rhön, 14.06.2009
Gelegentlich hat auch die Breitblättrige Stendelwurz dunkelrote Blüten; ein sicheres Unterscheidungsmerkmal sind jedoch die runzeligen Höcker auf dem Epichil der Lippe, die gleichzeitig auf die nahe Verwandtschaftsbeziehung mit der Kleinblättrigen Stendelwurz hinweisen, deren grünliche Blütenlippen ebenfalls runzelige Höcker haben.
Die Braunrote Stendelwurz wird von Hummeln, aber auch von Bockkäfern bestäubt. Bei ausbleibendem Blütenbesuch kann sie sich selbst bestäuben.
In den Kalkgebieten der Rhön ist die Braunrote Stendelwurz fast überall vertreten und gehört zu den häufigeren Arten. Als typische Art der Saumgesellschaften findet sie sich gern in lichten Wäldern, auf buschreichen Halbtrockenrasen und am Rande von Gehölzen ein. Hier wächst sie öfters in Gesellschaft von Müllers Stendelwurz. Aufgrund ihres breiten ökologischen Spektrums ist sie in der Rhön nicht gefährdet.
Dem Verlust von Lebensräumen infolge von Sukzession oder Brachfallen stehen Neubesiedelungen geeigneter Standorte gegenüber, beispielsweise in aufgelassenen Steinbrüchen, an Wegrändern oder an Bahndämmen. Insgesamt sind die Bestände der Art stabil. Auch von dieser Art wurden in der Rhön bereits Farbvarianten gefunden. Dabei tritt die gelbliche Form var. lutescens konstant seit über 25 Jahren an einem Standort im Bergwinkel auf, außerdem wurde sie zeitweise in der Kuppenrhön beobachtet.
Nomenklatur
Wissenschaftlicher Name:
Epipactis atrorubens (
Deutsche Namen:
Braun- oder Dunkelrote Stendelwurz, Braun- oder Dunkelroter Sitter, Vanilleständel
Blüten der Braunroten Stendelwurz; Hammelburg / Rhön, 13.06.2005
Kurzbeschreibung
Pflanze meist stattlich, Wuchshöhe 25-60 cm. Rhizom horizontal, mit zahlreichen dicken Wurzeln. 5 bis 11 oft zweizeilig angeordnete Laubblätter in relativ dichter Folge, jedoch mit deutlichem Abstand zur Infloreszenz. Blätter eiförmig, schräg nach oben stehend. Stängel violett überlaufen, oft auch die Blätter. Blütenstand einseitswendig, schmal und lang, bis über 40-blütig. Blütengröße 10-15 mm. Blüten weinrot und nickend, sehr angenehmer Vanilleduft. Lippe zweiteilig; Hypochil halbkugelig und innen dunkelrot, Epichil herzförmig mit zwei seitlichen runden und einem mittleren länglichen warzigen Höcker. Bestäubung vor allem durch Bienen.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Anfang Juni bis Anfang Juli.
Gelbgrüne Varietät der Braunroten Stendelwurz; Bergwinkel / südwestliche Rhön, 14.06.2009
Vorkommen und Standort
In der Rhön verbreitet in den Kalkgebieten.
Standorte: Lichte Laub-, Misch- und Nadelwälder, Säume, steinige Hänge. Sonnig bis halbschattig wachsend, auch auf sehr trockenen Böden. Meist auf Kalk.
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 200 m bis 800 m.
Gesamtverbreitung: Fast ganz Europa, Vorposten weiter ostwärts in Vorderasien und Sibirien.
Hybriden
Gelegentlich wird von dieser Art Hybriden berichtet. Aus der Rhön wurden solche mit der Breitblättrigen (Epipactis × schmalhausenii) und mit Müllers Stendelwurz (Epipactis × heterogama) genannt.
Mehr zu dieser Art
» flickr.com | Epipactis atrorubens – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Braunrote Stendelwurz
» AHO-Bayern e.V. | Epipactis atrorubens
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