Halbtrockenrasen und Wacholderheiden gehören zum charakteristischen Landschaftsbild der Rhön, und sie bieten vielen Orchideenarten Lebensraum. Wenn aber die Weidenutzung oder die gezielte Pflege durch Entbuschung ausbleibt, gewinnen hier schnellwüchsige Sträucher wie Schlehe und Weißdorn rasch die Oberhand und verdrängen die lichthungrigen Orchideenarten.
Es gibt jedoch auch Arten, die gerade im gehölzreichen Übergangsstadium der Sukzession ihr ökologisches Optimum finden. Zu diesen halbschattenliebenden Orchideen gehört Müllers Stendelwurz. Sie ist auf buschreichen Halbtrockenrasen, unter großen Solitärbäumen und an Heckensäumen ebenso zu finden wie an Wegböschungen und Schneisen im Wald.
Müllers Stendelwurz
Als Art der »Saumgesellschaften« fand sie in der präindustriellen Kulturlandschaft beste Bedingungen, denn die bis ins 18. Jahrhundert übliche Waldweide kam ihren Standortansprüchen sehr entgegen. Heute ist in den ehemaligen Hutewäldern, die inzwischen durch dichten Baumwuchs ausgedunkelt sind, die zierlichere Schattenform der Art zu finden. Dieser Ökotypus ist sicherlich ohne taxonomische Relevanz, sondern als physiologische Anpassung an veränderte Standortbedingungen zu sehen. In Deutschland gehört Müllers Stendelwurz zu den selteneren Arten; gehäuft tritt sie nur in den kalkreichen Mittelgebirgen auf.
Obwohl sie bereits 1921 beschrieben wurde, sind die Funde in der Rhön sind erst seit etwa 1960 differenziert. Die zwischenzeitlichen Kartierungen haben aber ein relativ klares Verbreitungsbild dieses gut abgrenzbaren Taxons erbracht. In der Rhön kommt diese Art demnach relativ häufig in den Kalkgebieten der nördlichen und östlichen Vorderrhön vor, aber auch in der Kuppenrhön, an der Fränkischen Saale und im Bergwinkel hat sie gut besetzte Standorte. Dagegen ist sie in den höheren Lagen nur selten zu finden. Die schleichend fortschreitende Veränderung ihrer sukzessionsanfälligen Standorte macht sie zu einer potentiell bedrohten Art, auch wenn Bestandsrückgänge bislang nicht ausgeprägt sind.
Müllers Stendelwurz bei Ostheim vor der Rhön, 29.06.2008
Von den anderen Stendelwurz-Arten ist sie gut anhand ihrer sichelförmig gebogenen und am Rand stark gewellten Blätter zu unterscheiden, ebenso am breiten Übergang vom Hypochil zum Epichil. Die Rostelldrüse fehlt meist. Als obligat autogame Art bestäubt sich Müllers Stendelwurz generell selbst und hat einen sehr hohen Fruchtansatz. Habituell ähnliche Sonnenformen der Breitblättrigen Stendelwurz lassen sich am funktionsfähigen Rostellum erkennen.
Nomenklatur
Wissenschaftlicher Name:
Epipactis muelleri Godfery 1921
Deutsche Namen:
Müllers Stendelwurz, Müllers Sitter
Kurzbeschreibung
Meist stattliche Pflanze, Wuchshöhe 30-60 cm. Rhizom horizontal, mit zahlreichen dicken Wurzeln. Habitus standortabhänging: Sonnenformen eher kräftig, Schattenformen eher schlaksig. 5 bis 12 zweizeilig stehende, lanzettliche, rinnig gefaltete und sichelförmig gebogene Blätter. Blattränder mehr oder weniger stark gewellt. Blütenstand 10- bis 45-blütig. Blütengröße 7-11 mm. Blüten hängend, gelblichgrün. Lippe zweiteilig; Hypochil schüsselförmig, nektarführend, innen tiefrot. Epichil herzförmig bis dreieckig, breiter als lang und eher stumpf. Anthere sitzend, Pollinien etwa zur Hälfte über die Narbe herausragend. Autogame Art, Rostelldrüse nur selten vorhanden, nicht funktionsfähig.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Ende Juni bis Mitte Juli
Vorkommen und Standort
In der Rhön zerstreut bis verbreitet in Kalkgebieten, oft an der Stelle ehemaliger Huten.
Standorte: Waldränder, Gehölze und Säume, Halbtrockenrasen, unter Solitärbäumen, in Kalk-Buchenwäldern. Auf mäßig trockenen kalkreichen Böden.
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 200 m bis 700 m.
Gesamtverbreitung: Europa; Pyrenäen bis Ungarn und Kroatien, Italien bis Norddeutschland.
Hybriden
Aus der Rhön sind Hybriden mit Breitblättriger (Epipactis × reinekei) und Braunroter Stendelwurz (Epipactis × heterogama) bekannt geworden.
Mehr zu dieser Art
» flickr.com | Epipactis muelleri – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Müllers Stendelwurz
» AHO-Bayern e.V. | Epipactis muelleri
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