Im Hochsommer, wenn die Orchideensaison bereits dem Ende entgegen geht, blüht in schattigen, humusreichen Wäldern die Violette Stendelwurz. Ähnlich wie die Kleinblättrige Stendelwurz ist auch diese Art eher unscheinbar, da sie mit den Farbtönen des sommerlichen Hochwaldes verschwimmt.
Aus der Nähe betrachtet, ist sie jedoch eine ungleich stattlichere Erscheinung. Die kräftig wachsenden, purpurviolett überlaufenen Pflanzen werden bis zu 90 cm hoch, haben dichte Blütenstände mit recht großen Blüten und wachsen gerne auch in Büscheln, die durch vegetative Vermehrung entstehen.
Die Violette Stendelwurz
Die Violette Stendelwurz ist eine typische Wespenblume. Die Insekten sind vom reichlich vorhandenen Nektar der Orchidee mindestens genauso angetan wie vom Obstkuchen, den sie um diese Jahreszeit gern nachmittags auf den Terrassen zu naschen pflegen. Die Insekten halten sich sehr lange an den Orchideenblüten auf und fangen sich dabei die Pollenpakete ein, von denen sie sich offenbar nicht aus der Ruhe bringen lassen, sondern munter weiter Nektar suchen. Um trotz Kopfschmuck an den Nektar zu kommen, drücken die Wespen die Pollinien zwangsläufig gegen die Narbe. Die Violette Stendelwurz zeigt einen sehr guten Fruchtansatz, was für allogame Orchideen nicht selbstverständlich ist.
Bestäubung durch eine Wespe, gut erkennbar sind die zahlreichen Pollinienpakete, die bereits am Kopf kleben; Dietershausen, Rhön, 30.07.2006
Beim Blick auf die Verbreitung dieser Art fällt auf, dass sie vor allem die Keupergebiete bevorzugt. Auch auf Basaltkuppen ist sie öfters anzutreffen, beispielsweise auf den Bergen des Hessischen Kegelspiels. In den Kalkgebieten wächst sie vor allem auf tiefen, humusreichen und versauerten Böden. Diese sind insbesondere an Nordhängen und in Plateaulagen zu finden. Im Gegensatz zu den anderen Wald-Stendelwurzen bevorzugt diese Art kraut- und gebüschreiche Pflanzengesellschaften. In der Rhön kommt die Violette Stendelwurz insgesamt zerstreut vor, bildet aber lokal reiche Bestände.
Als partiell-mykoheterotrophe Art kann sie auch in sehr dunkle Wälder vordringen. Aufgrund dieser Bindung an den Wurzelpilz ist sie aber in ihrem Blühverhalten sehr abhängig von ihrem Versorger. Charakteristisch für diese Lebensweise ist, dass nur blühfähige Triebe ausgebildet werden. In sehr trockenen Sommern kommen daher auch in guten Beständen nur wenige Pflanzen zur Blüte.
Büschelbildung im Hessischen Kegelspiel; Rasdorf, Rhön, 08.08.2009
Von der Violetten Stendelwurz sind sehr auffällige Farbvarianten bekannt, die aber nur sehr selten vorkommen: Fehlt das Chlorophyll, ist die gesamte Pflanze rosarot gefärbt (var. rosea = var. erdneri). Dank der Symbiose mit dem Wurzelpilz sind solche Pflanzen auch ohne Photosynthese überlebensfähig. Diese Form wurde auch in der Rhön bereits mehrfach entdeckt, ihr locus classicus liegt im Bergwinkel. Fehlt aufgrund eines Fehlers in der Farbstoffsynthese das Anthozyan, ist die gesamte Pflanze grün gefärbt (var. chlorophylla); diese Form wurde in der Rhön jedoch noch nicht beobachtet.
Nomenklatur
Wissenschaftlicher Name:
Epipactis purpurata
Gebräuchliche Synonyme:
Epipactis viridiflora
Deutsche Namen:
Violette Stendelwurz, Violetter Sitter
Kurzbeschreibung
Stattliche Pflanze, Wuchshöhe 20-65 cm. Rhizom horizontal, mit zahlreichen dicken Wurzeln. Schlank, gerade wachsend, gesamte Pflanze violett überlaufen. 4 bis 10 Laubblätter, am Stängel verteilt, aufgerichtet bis abstehend, eiförmig-lanzettlich, relativ klein. Blütenähre dicht und reichblütig bis 45-blütig. Blütengröße 15-20 mm. Blüten relativ groß, abstehend und stets weit geöffnet. Sepalen und Petalen weit spreizend, weißlich-grün, violett überlaufen. Lippe zweiteilig; Hypochil halbkugelig, nektarführend und innen violettrosa. Epichil herzförmig, etwa so lang wie breit, am Grund mit mehreren glatten Höckern, am Rand wellig. Bestäubung vor allem durch Wespen.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Mitte Juli bis Anfang August.
Vorkommen und Standort
In der Rhön lückenhaft verbreitet, über Keuper offenbar häufiger als über Kalk.
Standorte: Schattige Laub- und Mischwälder. An frischen und mäßig feuchten
Standorten, auf neutralen bis basischen Böden.
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. ca. 200 m bis 800 m.
Gesamtverbreitung: Europa, von Frankreich bis Polen, von Italien und dem Balkan bis Dänemark.
Hybriden
Die sehr seltene Hybride mit der Breitblättrigen Stendelwurz, Epipactis × schulzei, wurde im Hessischen Kegelspiel gefunden, der Fundort ist jedoch durch Wegebau erloschen.
Mehr zu dieser Art
» flickr.com | Epipactis purpurata – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Violette Stendelwurz
» AHO-Bayern e.V. | Epipactis purpurata
» zur Startseite ‚Orchideen der Rhön‘
» zum Inhaltsverzeichnis
» zurück zum Beginn dieser Seite