Dies ist die Nestwurz: das hässliche Entlein unter den heimischen Orchideen. Auf den ersten Blick wird sie oft für ein Sommerwurzgewächs gehalten, und viele Menschen schauen etwas ungläubig drein, wenn sie – beispielsweise auf einer Exkursion – die Nestwurz als Orchidee vorgestellt bekommen.
»Was, das soll eine Orchidee sein?« fragen sie. Und die nächste Frage lautet dann oft: »Wie sieht die aus, wenn sie blüht?« Aber sie blüht doch! So sieht das bei dieser Art eben aus, da wird nicht mehr draus.
Die Nestwurz
Mit den prächtigen Orchideenblüten auf der heimischen Fensterbank hat dieses zottelige, zu allem Überfluss auch noch blattlose Pflänzchen im schattigen Wald nicht viel gemeinsam – so scheint es. Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich ganz deutlich der typische Aufbau der Orchideenblüte. Sepalen und Petalen bilden einen lockeren Helm über dem Säulchen, darunter breitet sich eine ausladende, elegant geschwungene Lippe mit Nektarschüssel aus. Halten Sie die Nase dran: die Blüte duftet nach Honig.
Nestwurz mit Blüten der Akelei, südliche Rhön, 22.05.2005
Fliegen und Ameisen besuchen die Blüten sehr gern, doch die Nestwurz kann sich auch selbst bestäuben. In der frischen Blüte ist die Rostelldrüse noch funktionsfähig. Bei Berührung schießt sofort ein Tropfen Klebstoff aus der Drüse, der die Pollinien am Kopf des Insekts festklebt. Doch bereits nach ein paar Tagen trocknet die Drüse ein, die Pollinien zerfallen zu bröseligen Teilen und fallen dann leicht auf die darunter liegende Narbe. Der Fruchtansatz ist deshalb sehr hoch, auch wenn die allogame Bestäubung ausbleiben sollte.
Die Fruchtstände der faserigen Pflanze überdauern oft noch jahrelang am Standort und können auch noch im Winter leicht gefunden und bestimmt werden. Ähnlich wie der Widerbart soll die Nestwurz sogar unterirdisch blühen und Samen ausbilden können. Doch auch vegetative Vermehrung ist möglich, da sich stetig Teile des vogelnestartigen Wurzelstocks in Form von Adventivknospen verjüngen und zu eigenständigen Pflanzen entwickeln.
Ebenso wie Korallenwurz und Widerbart lebt die Nestwurz mykoheterotroph und kann sich die Ausbildung grüner Blätter sparen. Statt dessen lässt sie sich von Pilzen der Gattung Sebacina durchfüttern. Chlorophyll ist in kleinen Mengen vorhanden; die bräunlichen Farbstoffe der Pflanze stehen jedoch dem Chlorophyll entwicklungsgeschichtlich sehr nahe.
In der Rhön gehört die Nestwurz zu den häufigsten Arten, ist in allen Teilgebieten reichlich vertreten und fehlt lediglich in den Buntsandsteingebieten. Sie tritt in Wäldern auf Kalk quasi regelmäßig auf, und zwar sowohl in Laub-, Nadel- und Mischwäldern. Dabei bevorzugt sie humus- und lehmreiche Standorte mit hohem Totholzanteil. Doch am häufigsten ist sie nicht in den schattigen Hochwäldern, sondern eher am Rande von Wegen, Schneisen oder Lichtungen.
Links: Habitus der Nestwurz bei Meiningen, Rhön, 11.05.2008
Rechts: var. pallida bei Meiningen, Rhön, 27.05.2005
Gefährdet ist die Nestwurz in der Rhön nicht, auch Bestandsrückgänge sind bei dieser Art nicht bekannt. Es bestehen jedoch immer noch Kartierungslücken beziehungsweise nicht aktualisierte Einträge in vielen Quadranten.
Auch von der Nestwurz gibt es Farbvarianten, allerdings sind sie sehr selten zu finden. Dabei gibt es blassere (var. pallida), schwefelgelbe (var. sulphurea) und sogar rein weiße Formen (var. nivea).
Nomenklatur
Wissenschaftlicher Name:
Neottia nidus-avis (L.)
Deutsche Namen:
Nestwurz, Vogel-Nestwurz
Kurzbeschreibung
Unauffällige Pflanze, blattlos, bräunlich bis ockergelb, nahezu chlorophyllfrei. Wuchshöhe 10-35 cm. Rhizom kriechend, die vielen fleischigen Seitenwurzeln bilden ein namensgebendes vogelnestförmiges Geflecht. Stängel mit scheidigen Schuppenblättern. Blütenstand dicht, etwa 10- bis 50-blütig, einzelne Blüten oft weit unten am Stängel. Blütengröße 10-15 mm. Sepalen und Petalen gleich geformt, zusammenneigend. Lippe tief zweilappig mit seitwärts spreizenden, vorne verbreiterten Zipfeln. Leichter Honigduft. Bestäubung durch Fliegen oder autogam.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Anfang Mai bis Anfang Juni
Vorkommen und Standort
In der Rhön regelmäßig in Kalk-Buchenwäldern aller Höhenlagen, sehr standorttreu.
Standorte: Laubwälder, seltener Nadelwälder, auf humusreichen, tiefgründigen basischen bis neutralen Böden. Halbschattig bis schattig wachsend.
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 200 m bis 800 m.
Gesamtverbreitung: Europa, temperates und boreales Asien.
abgeblühte Nestwurz, Dietershausen, Rhön, 05.06.2011
Mehr zu dieser Art
» flickr.com | Neottia nidus-avis – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Vogel-Nestwurz
» AHO-Bayern e.V. | Neottia nidus-avis
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