Netzblatt Goodyera repens Orchideen in der Rhön und Mainfranken

Unter den heimischen Orchideen nimmt das Kriechende Netzblatt in verschiedener Hinsicht eine Sonderstellung ein. Als einzige hei­mische Art gehört sie zur Gruppe der so genannten »Juwelenorchi­deen«, die eher durch prächtiges Blattwerk als durch spektakuläre Blüten glänzen.

Die Blätter des Kriechenden Netzblattes sind un­scheinbar, doch durch ihre netzadrige Struktur zeigen sie deutlich die Verwandtschaftsverhältnisse an.

Das Kriechende Netzblatt

Das zierliche Pflänzchen wächst edaphisch, also oberirdisch, im Moos. Dabei tritt es meist in Gruppen auf. Aus den horizontal krie­chenden, verästelten und fleischigen Rhizomabschnitten zweigen seitlich Triebe ab, aus denen sich die Rosetten entwickeln. Je nach Witterung kommen davon mehr oder weniger viele zur Blüte. Wenn ein Trieb geblüht hat, stirbt die Rosette ab. Ansonsten bleibt sie grün und überwintert, gemeinsam mit den bereits wieder neu gebildeten Rosetten. So entstehen an den Wuchsorten gesellige Ansammlungen von Blattrosetten. Dieser Vegetationszyklus, der zu einer starken vegetativen Vermehrung führt, ist typisch für die Juwelenorchideen. Wer eine tropische Orchidee namens Ludisia discolor auf der Fensterbank stehen hat, kann sozusagen zu Hause das beobachten, was sich – im Moos verborgen – auch beim Krie­chenden Netzblatt tut.


Eine typische kleine Kolonie des Kriechenden Netzblattes im Kiefernwald bei Ostheim, Rhön, 17.07.2006

Aus dem Gebiet der Rhön liegen nur wenige historische Nachweise dieser Art vor. Erst im vergangenen Jahrhundert nahm die Anzahl der Funde zu. Tatsächlich hat sich diese Art offenbar erst im Laufe des 20. Jahrhunderts ausgebreitet, begünstigt durch umfangrei­che Kiefern-Aufforstungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhun­dert. Dabei bevorzugt das Kriechende Netzblatt moosreiche Kiefernwälder in nordexponierten Hanglangen. Die Populationen erreichen ihr Optimum in etwa 40jährigen, relativ dicht bestockten Kiefernaufforstungen. Da solche künstlichen Wälder heute jedoch als standortfremd gelten und nicht mehr weiter genutzt, geschweige denn neu angelegt werden, kommt es zwangsläufig zum Bestandsrückgang. Infolge natürlicher Sukzession werden die Wuchsplätze der Orchidee zunächst von Gras und Gebüsch über­wachsen, später unterwandern Laubbäume den Nadelwald. Gelegentlich überdauern vereinzelte Exemplare in ehemaligen Kiefernwäldern, die be­reits von ausgewachsenen Eichen und Buchen do­miniert sind und ein stabiles Mischwaldstadium erreicht haben.

Gegenwärtig kommt das Kriechende Netzblatt zerstreut in der östlichen Rhön vor. Die Luvgebie­te jenseits des Hauptkammes werden offenbar konsequent gemieden. Die aktuellen Funde lie­gen mit Ausnahme der isolierten Fundorte im Bergwinkel in einem großen Bogen vom Geisaer Land über das Streutal bis zur Fränkischen Saale. Das Kriechende Netzblatt ist eine zirkumpolar ver­breitete Art, die in Europa vor allem in den borea­len Nadelwaldgebieten sowie in den natürlichen Nadelwäldern der Hochgebirge heimisch ist.


Blütenstand; Ostheim, Rhön, 17.07.2006

In­nerhalb Deutschlands bilden die Rhöner Vorkom­men ein wichtiges Teilareal. Ansonsten ist sie vor allem in den Alpen, im Jura und von Thüringen durch Unterfranken bis ins Taubergebiet anzu­treffen. Dabei bevorzugt sie Gebiete im Lee der Gebirgskämme. Die Roten Listen bilden die wohl unvermeidliche, bevorstehende Gefährdung der Art noch nicht ab. Doch braucht es keine prophe­tischen Fähigkeiten, um einen drastischen Be­standsrückgang der Art vorauszusagen. Daher muss die Art zumindest im Gebiet der Rhön als stark gefährdet eingestuft werden.

Nomenklatur

Wissenschaftlicher Name:
Goodyera repens (L.) R.Br. in W.T.Aiton 1831

Deutsche Namen:
Kriechendes Netzblatt, Mooswurz, Kriechstendel

Kurzbeschreibung

Zierliche Pflanze, Wuchshöhe 8-25 cm, in Moos und Humus wurzelnd, einzige immergrüne heimische Orchidee. Edaphisch kriechendes Rhizom, durch Seitentriebe permanent erneuernd, dadurch oft Gruppen bildend. Blätter gestielt, dunkelgrün, nahezu rosettig stehend. Die Blattadern bilden ein charakteristisches weißlichgrünes Netz. Blütenähre einseitswendig, bis 25-blütig. Blütengröße 4-6 mm. Blüten klein, weiß, Sepalen und Petalen glockig zusammenneigend, außen drüsig behaart. Lippe im hinteren Teil bauchig, nektarführend, nach vorne rinnig, spitz auslaufend und abwärts gebogen. Bestäubung durch Bienen.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Ende Juni bis Anfang August.


Blätter des Netzblattes im Moos; Südrand der Rhön, 16.03.2014

Vorkommen und Standort

In der Rhön zerstreut, vor allem in den östlichen Gebieten, meist in etwa 30- bis 50-jährigen Kiefernaufforstungen. Rückgänge infolge Sukzession erscheinen bereits vorprogrammiert.

Standorte: Moosreiche, mäßig feuchte bis mäßig trockene Nadelwälder, meist Kiefernwälder, gelegentlich Mischwälder. An halbschattigen Stellen, vorzugsweise auf basenreichen Böden (Kalk).

Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 200 m bis 600 m.
Gesamtverbreitung: boreal zirkumpolar, in Europa vorwiegend nordisch-kontinental, südwärts in die Gebirge ausstrahlend.

Mehr zu dieser Art

» flickr.com | Goodyera repens – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Kriechendes Netzblatt
» AHO-Bayern e.V. | Goodyera repens

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