Wenn die anderen Orchideen zusammenpacken und sich bereit für den Winter machen, geht für eine kuriose Art die Saison erst richtig los: es ist die Herbst-Wendelähre, unsere am spätesten blühende Orchidee. Im Juli treibt sie ihre Winterblätter aus, die bis in den darauf folgenden Frühling überdauern. Danach verwelken sie, und im August schiebt sich dann der Stängel ans Tageslicht und entfaltet seine schraubig gedrehte Infloreszenz.
Bis dahin hat sich aber bereits die Tochterknolle mitsamt Blattrosette gebildet, neben der nun der blühende Stängel steht. Aufgrund dieses eigenartigen Vegetationszyklus‘ ist sie neben dem Kriechenden Netzblatt auch die einzige Orchidee, die ständig oberirdisch sichtbar ist. Denn während die Tochterknolle mit dem Blattaustrieb beschäftigt ist, bereitet die Mutterknolle ihren Blütentrieb vor. Somit ist der Vegetationszyklus von der Neubildung einer Knolle im Sommer bis zur Fruchtbildung im November des Folgejahres etwa anderthalb Jahre lang.
Die Herbst-Wendelähre
Der wissenschaftliche Name Spiranthes spiralis beschreibt pleonastisch die gedrehte Blütenähre, und auch die deutschen Namen nehmen Bezug darauf: Wendelähre, Drehwurz, Schraubenstendel, Drehähre. Wie die Stufen einer Wendeltreppe sind die kleinen Blütchen angeordnet, dabei variiert aber die »Drehzahl«: Manche Pflanzen schaffen nicht mal eine einzige Drehung, andere brauchen nur fünf Blüten für eine Umrundung. Aus den röhrenförmigen Blüten schaut die Lippe heraus, deren Rand aussieht, als sei er aus Zuckerkristallen.
Blütenstand; Feuchtwangen, Mittelfranken, 23.08.2017
Die Herbst-Wendelähre kommt nur auf äußerst mageren, relativ schütter bewachsenen Böden vor, die sich in der traditionellen Landnutzung nur als Schafweiden eigneten. Unterbleibt die Beweidung, erstickt die Orchidee rasch unter der verfilzenden Grasdecke, und dies ist auch der Hauptgrund ihres Rückganges. Leider ist die konkurrenzschwache, zierliche Art in der Rhön sehr selten geworden, genau wie in ganz Deutschland. Früher scheint sie nicht selten gewesen zu sein, über das gesamte Rhöngebiet verstreut lagen Fundorte.
Heute ist sie im Kerngebiet der Rhön bereits ganz ausgestorben, nur im Bergwinkel und an der Fränkischen Saale gibt es noch kleine, individuenarme Vorkommen. Obwohl die verbliebenen Standorte gepflegt werden, ging die Anzahl blühender Pflanzen und somit die Reproduktivität der Populationen immer weiter zurück. So ist zu befürchten, dass diese kleine Schönheit bald ganz aus der Rhön verschwindet.
Nomenklatur
Wissenschaftlicher Name:
Spiranthes spiralis (L.)
Gebräuchliche Synonyme:
Spiranthes autumnalis (
Deutsche Namen:
Herbst-Wendelähre, Herbst-Drehwurz, Herbst-Drehähre, Herbst-Schraubenstendel
Blüten; Feuchtwangen, Mittelfranken, 23.08.2017
Kurzbeschreibung
Kleine, zierliche Pflanze, Wuchshöhe 6-25 cm. Längliche Knolle, jährlich eine Tochterknolle bildend, zur Blütezeit daher mit zwei Knollen. 3 bis 7 eiförmig-lanzettliche, vorn zugespitzte blaugrüne Blätter, rosettig angeordnet. Der Blütenstängel steht neben (!) der bereits neu gebildeten Knolle samt Blattrosette. Mehr oder weniger ausgeprägt spiralförmige Blütenähre mit 8 bis 30 Blüten. Tragblatt länger als der Fruchtknoten. Blütengröße 4-7 mm. Blüten weißlich. Seitliche Sepalen spreizend, mittleres Sepal, Petalen und Lippe röhrig zusammenneigend. Lippe rundlich, gelblichgrün mit weißem, gekräuseltem Rand, am Grund mit zwei kleinen Warzen, am Rand hochgebogen. Bestäubung durch Bienen.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Mitte August bis September.
Vorkommen und Standort
In der Rhön früher zerstreut, heute extrem selten und nur noch in den Randgebieten.
Standorte: Kurzrasige Weiden, sandige Halbtrockenrasen. Auf mäßig trockenen, sehr mageren Böden.
Vorzugsweise auf Schafweiden, jedoch nicht unmittelbar an Schafdung gebunden.
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 300 m bis 800 m.
Gesamtverbreitung: Europa, vor allem im Westen, Vorposten ostwärts bis zum Kaukasus.
Mehr zu dieser Art
» flickr.com | Spiranthes spiralis – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Herbst-Drehwurz
» AHO-Bayern e.V. | Spiranthes spiralis
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