Sass Rigais und Plattkofel

Das Jahr drohte ganz ohne Alpenbesuch zu Ende zu gehen. Die Wasserkuppe als höchster Gipfel 2011? Und dann auch noch mit dem Auto? Nein, so weit kommt es nicht. Das herrliche Oktoberwetter macht die kurzfristige Entscheidung leicht, wir fahren in Richtung Süden und diskutieren erst auf dem Weg, wohin es eigentlich gehen soll. Vielleicht geht noch ein Dreitausender? Wir möchten ja die Tradition wahren. Schnell sind wir uns einig: Wir fahren vorbei an den Nordalpenbergen und durch das schattig-enge Österreich hindurch. Wir wollen dahin, wo es einfach am schönsten ist: in die Dolomiten.

Freitags um die Mittagszeit kommt Jan vorbei, es kann losgehen. Ohne größere Verzögerungen kommen wir durch den Wochenendverkehr und sind kurz nach Sonnenuntergang im Grödener Tal. Zwei Ziele haben wir uns ausgesucht: als erstes den Sass Rigais und danach den Plattkofel.

Sass Rigais

Von der Wolkensteiner Fraktion Daunëi starten wir in die Dunkelheit mit Ziel Regensburger Hütte (Rifugio Firenze). Da sie an diesem Wochenende noch bewirtschaftet ist, werden wir uns die Hüttenübernachtung gönnen. Noch ist der Mond nicht aufgegangen, aber der Weg ist dennoch gut genug, um ihn mit Stirnlampenlicht problemlos zu finden. Jan denkt immer an die kleinen Annehmlichkeiten des Unterwegsseins und hat als Wegzehrung Bier dabei. Nach einer guten Stunde sind wir an der Hütte. Ein paar Grödener sitzen abends noch beisammen, aber außer uns übernachtet niemand. Verwunderlich, bei diesen perfekten Wetterprognosen…


Blick vom Plattkofel zu den Geislerspitzen

Das Schöne am Spätherbst ist, dass man am nächsten Morgen nicht so früh aufzustehen braucht. So machen wir noch spät am Abend nächtliche Aufnahmen (der Mond ist inzwischen aufgegangen) vom Langkofel und den Geislerspitzen.


Sternenhimmel über den Geislerspitzen

Nach einem sehr opulenten Frühstück brechen wir vor Sonnenaufgang zum Sass Rigais auf. Der Weg führt durch die Wiesen der Cisles-Almen in Richtung der mächtigen Felszinnen. Links Fermeda und Odla, in der Mitte unser Ziel Rigais und rechts die Furchetta. Der Mond verkriecht sich hinter den Felsnadeln. Vom Pian Ciautier, einer flachen Wiesenmulde, führt die Pfadspur in die Mittagsschlucht.


Aufstieg zum Sass Rigais, Blick zum Langkofel

An den senkrechten Felswänden flattern zwei Mauerläufer Tichodroma muraria. Schon immer wollte ich ihn einmal sehen, den »fliegenden Almrausch«, und wie so oft trifft eine solche Begegnung dann ein, wenn man am wenigsten damit rechnet. Natürlich ist die Kamera nicht aufnahmebereit. Einer der Vögel ist sofort wieder weg, der andere hinter einem Felsvorsprung versteckt. Objektivwechsel, Anschleichen, ein paar Fotos aus großer Entfernung, und schon sucht auch der zweite Mauerläufer das Weite.


Mauerläufer, Tichodroma muraria

Etwa auf halber Höhe der Schlucht zweigt der Pfad in Richtung Sass Rigais ab. Der untere Abschnitt des Klettersteigs führt durch ein wüstes Schluchtengelände auf eine Wiesenrampe und über brüchiges, schrofiges Gelände aufwärts. »Gerümpel« sagt Jan, und er trifft den Nagel auf den Kopf. Der obere Teil der Seilsicherungen führt zum Grat hinauf und auf diesem, teils auch ungesichert, bis hinauf zum 3025 Meter hohen Gipfel.

Die Aussicht ist grandios. Im Nordosten die nahe – gleichhohe – Furchetta, im Südosten der weite blaue Bogen der Dolomitenberge, im Westen die Berge jenseits der Etsch vom Monte Baldo über Adamello und Presanella bis hin zu Königspitze und Ortler, dann der Alpenhauptkamm mit Ötztalern, Stubaiern, Zillertalern und Rieserfernergruppe bis hin zum Großglockner. Zu unseren Füßen die grünen Wiesen von Villnöß mit dem weißen Punkt der Johanneskapelle von Ranui, kontrastierend mit den düsteren Schatten der Geislerspitzen. Der Schnee in den Nordwänden erinnert an die bevorstehende kalte Jahreszeit, auch wenn es auf der Südseite immer noch angenehm mild ist.


Blick vom Sass Rigais über das Grödener Tal


Tiefblick vom Sass Rigais


Blick vom Sass Rigais über die Furchetta und den Peitlerkofel zum Alpenhauptkamm

Wir steigen auf dem gleichen Weg wieder ab zur Hütte und genießen den Nachmittag in der Sonne. Dann spazieren wir hinab nach Daunëi und fahren hinauf zum Sellajoch.

Karte: Sass Rigais

Plattkofel

Bei der Ankunft am Sellajoch steht die Sonne schon tief. Wir präparieren unsere Rucksäcke für eine kalte Nacht im Zelt und starten in Richtung Langkofelhütte. Über die Forcella Rodela führt der Friedrich-August-Weg an der Südflanke des Langkofels dorthin. Dieser nach dem Sachsenkönig Friedrich August I. benannte Weg bietet herrliche Ausblicke ins Langkofelmassiv und auf die Fassaner Dolomiten, vorausgesetzt man hat genug Licht dafür. Inzwischen ist es vollständig dunkel geworden. Der Weg zieht sich doch ganz schön hin, besonders mit der schweren Rucksacklast. Entfernungen und Geländeformationen sind in der mondlosen Nacht sehr schwer erkennbar, und so stehen wir irgendwann recht unvermittelt vor der Plattkofelhütte.


Rinder an der Forcella Rodela

Wir suchen uns einen Zeltplatz in den einigermaßen flachen Wiesenmulden oberhalb der Hütte. Dieses Terrain ist, vorsichtig ausgedrückt, stark beweidet. Immerhin sind die Viecher inzwischen im Tal. Zum Abendbrot hat Jan eine Flasche Rotwein dabei. Er hat sie sozusagen als Gewichts-Kompensation für das von mir zu schleppende Zelt mitgenommen. Welch ein Genuss! Nach Mondaufgang rafft sich Jan dankenswerterweise noch zu einigen nächtlichen Fotos auf.


unser Zeltplatz mit Marmolada-Blick (Foto von Jan)

16. Oktober 2011: Draußen ist es frostig, aber relativ windstill, und so stellt sich innerhalb des Schlafsacks die Komforttemperatur ein. Nach einer erholsamen Nacht starten wir um fünf Uhr bei Mondschein in Richtung Plattkofel. Erst geht es über Almgelände aufwärts, dann folgt die breite, über 500 Meter hohe Schotterflanke.

Zunächst ist der Weg noch gut erkennbar, dann verlieren wir immer öfter die Markierung. Zahllose Trittspuren führen kreuz und quer durch das monotone Gelände. Der Weg ist nicht besonders gut markiert, besonders von unten gesehen. Aber eigentlich ist es ja auch egal. Wir steigen einfach weiter und kommen bei Sonnenaufgang in der Scharte zwischen Nord- und Mittelgipfel an. Aufgrund des Sonnenstandes entscheiden wir uns für den Nordgipfel, 2955 Meter hoch. Er bietet freie Aussicht nach Norden. Das Panorama ist gewaltig. In der Ferne die beiden Schatten von Plattkofel und Langkofel, langsam kriechen sie die Seiser Alm herauf.


erstes Sonnenlicht am Schlern


auf dem Plattkofel

Wir genießen den Tagesanbruch auf dem Gipfel. Die Temperaturen sind erstaunlich moderat. Dann steigen wir ab, packen unsere Sachen zusammen, plündern die Essensreste und machen uns auf den Rückweg. Die ersten Wanderer kommen jetzt an der Hütte an, wir sind schon auf dem Heimweg und erfreuen uns an unserer antizyklischen Tourenplanung.


Langkofelgruppe

Kurz nach Mittag sind wir zurück am Sellajoch und machen uns auf die Heimreise. Abends sind wir wieder in Würzburg. Eine kurze und intensive Alpenreise liegt hinter uns. Was von Freitag nachmittag bis Sonntag abend alles möglich ist… Einerseits ist die Ökobilanz einer solchen Aktion fragwürdig, anderenseits schaffen wir es nur noch so selten in die Alpen, dass wir unterm Strich weniger Schmutz anrichten als früher. Wir haben die Dolomiten wieder einmal von ihrer schönsten herbstlichen Seite erlebt.

Karte: Plattkofel

Bilder der Tour auf flickr

alle Fotos vom Sass Rigais ansehen
alle Fotos vom Plattkofel ansehen

(zurück zum Beginn der Seite)

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Alpen von Marco. Setzen Sie ein Lesezeichen zum Permalink.

7 Kommentare

  1. Hallo Marco!
    Das dürfte ein echtes Traumwochenende gewesen sein!? Die Fotos sind der Hammer… muss ich mir gleich noch einmal ansehen! Die Dolomiten sind ja von sich aus schon eine Augenweide, aber das geniale Licht, die leuchtenden Herbstfarben und Dein/Euer Können machen diese Bilderstrecke zum perfekten Augenschmaus.
    lG Andi

  2. Das hat Andi aber schön geschrieben :-)
    Ich denke immer wieder gerne an unseren Ausflug zurück – gerne wieder!
    Kommt gut in den Winter, wir hören uns am 14.
    Lieber Gruß,
    Jan

  3. Hallo Marco, das habt ihr richtig gemacht. Die Dolomiten waren auch für mich früher immer ein besonderes Ziel und die Regensburger Hütte als Ausgang für Geisler und Puez wurde mehrfach genutzt. Wunderschöne Bilder hast Du mitgebracht und die Beschreibung lässt nichts zu wünschen übrig. Bin ein wenig neidisch. Früher galt für mich „auf keinen Berg, wo eine Bahn hochgeht“ nun muss ich leider sagen „auf keinen Berg, auf den keine Bahn geht“. So ist das halt, wenn d´Fiass nimma mitmacha. Gruß Siegi

  4. Hallo Marco,
    schöner Bildbericht mit super Wetter und Erlebnissen. Auch die Bilder sind Klasse geworden. Natürlich freue ich mich, auch mal wieder was von Jan zu hören / sehen. Schade das solche schönen Touren wohl oft zu selten sind, gerade wenn man es so sehr mag wie ihr beide. Viele Grüße Matthias

  5. Hallo Marco,
    ja, die Dolomiten …. ein Traum! Und ihr hattet absolutes Glück!!
    Danke für die schönen Bilder und Berichte, war mir wieder eine echte Freude
    (auch wenn´s mir immer noch ganz schön weh tut, aber dafür kannst du ja nix…).
    Macht weiter so und nutzt die Zeit!
    Liebe Grüße
    Gaby

    Antwort von Marco:
    Danke! Es ist schön, wenn man die Zeit nutzen kann (siehe auch Siegi oben), auch wenn es doch nur kurze Gelegenheiten sind.
    Dein Fernweh und den (gut gemeinten) Neid kann ich absolut nachvollziehen. Wenn ich andere Reportagen aus den Bergen oder von schönen Naturlandschaften sehe, geht es mir ganz genauso!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert