Großes Zweiblatt Neottia ovata Orchideen in der Rhön und Mainfranken

Unscheinbar, unauffällig, unspektakulär – Attribute, mit denen das Große Zweiblatt charakterisiert werden könnte. Es wäre nur ein kleiner Schritt, auch das Wort »unansehnlich« in diese Reihe aufzunehmen.

Naturfreunde werden sich kaum mit einem Fund dieser Art brüsten, und Autoren schreiben keine Ruhmeshymnen auf das Große Zweiblatt, eher im Gegenteil.

Das Große Zweiblatt

So notierte J. C. Bernhard im Jahre 1764 zu dieser Art: »Das Vieh frißt es nicht, wenns ihm allein vorgelegt wird; gleichwol ist es der Mühe nicht werth, dasselbe aus­zurotten; da es nicht nur seiner Gröse wegen nicht sonderlich beträchtlich, und seine bulböse Wurzel ziemlich tief unter der Erde verborgen ist. Ist es demnach gleich kein gutes und vortheilhaftes Wiesengewächs, so muß man doch zufrieden seyn, daß dessen Genuß dem Viehe nicht nachtheilig ist.« Und auch der Volksmund geht nicht gerade zimperlich mit dieser Orchidee um: ein fast in Vergessenheit geratener Name lautet »Rattenschwanz«.

Bis vor kurzem galt die Einordnung dieser Art in die Gattung Listera als allgemein anerkannt. Doch nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft sind die Gattungen Zweiblatt und Nestwurz zusammen zu fassen, und somit hat der ältere Gattungsname Neottia Vorrang. Freilich wird das auf die längst etablierten deutschen Namen keinen Einfluss mehr haben. In der Rhön gehört das Große Zweiblatt im Allgemeinen zu den Begleiterscheinungen auf den Orchideenexkursionen.

Ob auf Muschelkalk, Basalt und Buntsandstein, ob am Waldrand oder auf buschreichen Trockenhängen, ob in feuchten Talwiesen oder in schattigen Wäldern: Wo es die anderen Orchideen aushalten, da ist auch das Große Zweiblatt gern daheim. Als eine von ganz wenigen Orchideenarten dringt es selbst in Fichten-Monokulturen ein. Ihr ökologisches Optimum findet es jedoch in Saumbereichen und in wechselfeuchten Hangbereichen, beispielsweise an Schichthorizonten oder am Fuß von Kalk-Halbtrockenrasen. Hier bildet es auch seine reichhaltigsten Populationen aus, doch dichte Bestände sind bei dieser Art eher die Ausnahme. Das Große Zweiblatt gilt als verhältnismäßig anspruchslose Art. Aufgrund seiner relativ großen ökologischen Toleranz ist es in unserem Gebiet weder selten noch gefährdet. So richtig interessant wird die Art erst in der Betrachtung ihrer Physiologie.


Großes Zweiblatt im Nüsttal, Rhön, 11.05.2000

Der Stängel ist mit klebrigen Drüsenhaaren bestückt, die krabbelnde Insekten am Blütenbesuch hindern sollen. Erwünscht sind also nur fliegende Gäste, denen das Große Zweiblatt als Gegenleistung für die Bestäubung reichlich Nektar anbietet. Dieser wird in einer flachen schüsselförmigen Mulde am Lippengrund ausgeschieden und träufelt entlang der Lippenmitte abwärts. Trocknet der Nektar auf der Lippe, bleibt eine Zuckerspur zurück.

Für den Bestäubungsvorgang haben die Arten der Gattung Neottia besondere Tricks entwickelt. An der Rostelldrüse befinden sich winzige Sensoren. Bei der kleinsten Berührung schießt ein Tröpfchen Klebstoff heraus und kittet die Pollinienstiele am Insektenkopf fest. Danach senkt sich das Rostellum und entfaltet ein »Verdeck« über der Narbe, damit die Blüte nicht mit ihrem eigenen Pollen bestäubt wird. Erst nach einigen Stunden hebt sich das Rostellum und gibt die Narbe wieder frei. Auch nach erfolgter Bestäubung bleibt die Blüte noch eine Zeit lang grün. Das Große Zweiblatt mag ein unscheinbares Wesen sein, doch bei näherer Betrachtung entpuppt es sich als wahres Wunder der Natur.

Nomenklatur

Wissenschaftlicher Name:
Neottia ovata (L.) Bluff & Fingerh. 1838

Gebräuchliche Synonyme:
Listera ovata (L.) R.Br. 1813

Deutschr Name:
Großes Zweiblatt

Kurzbeschreibung

Pflanze stattlich, Wuchshöhe 20-60 cm, völlig grün. Rhizom horizontal kriechend, mit vielen dünnen, unverzweigten Wurzeln. Zwei große, eiförmige Laubblätter, die sich im unteren Drittel des Stängels gegenüber stehen. Selten mehr Blätter. Blütenstand locker, aber lang und reichblütig, bis über 70-blütig. Blütengröße 8-15 mm. Blüten abstehend, grün bis gelblich. Sepalen und Petalen etwas zusammenneigend, aber keinen Helm bildend. Lippe relativ groß, tief zweilappig, mit Nektarspur in der Mitte. Breites Spektrum an Bestäubern: Käfer, Schlupf- und Blattwespen, Fliegen, Mücken, kleine Bienen.
Blütezeit in der Rhön und in Mainfranken: Mitte Mai bis Mitte Juni.


Einzelblüte des Großen Zweiblattes, Nüsttal, Rhön, 11.06.2006

Vorkommen und Standort

In der Rhön im gesamten Gebiet allgemein verbreitet.
Standorte: Laub- und Laubmischwälder, Nadelwälder, Waldränder, Gebüsche, Bergwiesen, Halbtrockenrasen, Feuchtwiesen und Sümpfe. Auf mäßig frischen bis nassen Böden, nicht an Kalk gebunden.
Höhenverbreitung in der Rhön: ca. 180 m bis 950 m.
Gesamtverbreitung: Europa und temperates Asien.

Mehr zu dieser Art

» flickr.com | Neottia ovata – alle Fotos von M. Klüber
» de.wikipedia.org | Großes Zweiblatt
» AHO-Bayern e.V. | Listera ovata

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